Der Ort

Spitalgasse 2, 1090 Wien
Der Wiener Narrenturm wurde 1784 unter der persönlichen Beaufsichtigung Kaiser Joseph II errichtet. Anfangs stand das Gebäude am freien Feld, später wurde eine Mauer herum errichtet, um neugierige voyeuristisch veranlagte Eindringlinge fernzuhalten. Die Form des Baus förderte immer wieder Spekulationen über angeblich versteckte Funktionen der Einrichtung heraus. So soll die Anzahl der Zellen pro Etage, nämlich 28, auf den 28tägigen Mondzyklus hinweisen. Dieses und andere Gerüchte konnte aber nie wissenschaftlich verifiziert werden.

Das Thema

Im Zuge der Aufklärung ändert sich das Bild der psychischen Krankheiten. Auf der einen Seite werden bestimmte Verhaltensformen, die zuvor im Rahmen als gesellschaftlich akzeptabel eingeordnet werden, als nicht „normal“ identifiziert. Andererseits werden diese nun aber auch als Krankheit und somit als „heilbar“ ausgemacht. Aus diesem neuen Verständnis besucht Kaiser Joseph II 1777 in Paris das Hotel-Dieu, eine Krankenanstalt, die als modernste Europa gilt. Hier holt er sich Inspirationen für ein modernes Krankenhaus, welches er in Wien errichten möchte. Nachdem die Verbringung von psychisch kranken Menschen zuvor unter menschenunwürdigen Verhältnissen stattfindet, macht Joseph II die Errichtung der Anlage im Geiste der Vernunft und Aufklärung zu einem seiner prioritären Vorhaben. 1784 wurde der sogenannte „Narrenturm“ auf dem Gelände des Allgemeinen Krankenhauses fertiggestellt. Doch neben den humanistischen Idealen sollte die Anstalt vor allem zur Bereitstellung von gesunden und arbeitswilligen StaatsbürgerInnen sorgen.

Obwohl zum damaligen Zeitpunkt der Narrenturm als die modernste Anstalt Europas galt, macht die rasante Entwicklung der Medizin und der Psychiatrie innerhalb weniger Jahrzehnten den Bau in seiner bestehenden Form obsolet. Die Insassen der Anstalt werden vermehrt auf andere Gebäude und Einrichtungen verteilt und 1869 wird das Gebäude als Krankenanstalt endgültig geschlossen. Heute beherbergt der Narrenturm eine der größten pathologisch-anatomischen Sammlungen weltweit.

Zu Gast

Daniel Vitecek ist Literat, Kulturwissenschafter und Humanmediziner. Er veröffentlichte 2023 eine umfassende Geschichte des Wiener Narrenturms.

Tipps

Zum Lesen:

  • 
Daniel Vitecek: : Der Wiener Narrenturm. Die Geschichte der niederösterreichischen Psychiatrie von 1784 bis 1870. Wien 2023
  • Ernst Hausner: Das Pathologisch-Anatomische Bundesmuseen im Narrenturm des Alten Allgemeinen Krankenhauses in Wien. 1998
  • Christine Lavant: Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus. 2016 Steve Sem-Sandberg im Buch: Die Erwählten. 2015 Lena-Maria Biertimpel: Luftpolster. 2022


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